Schreibwerkstatt

 

Schreibwerkstatt mit der Bachmannpreis-Trägerin Birgit Birnbacher in Freistadt

Die Förderung des literarischen Schaffens ist eines der langfristigen Ziele der Brigitte Schwaiger-Gesellschaft. Am ersten Märzwochenende 2024 fand daher erstmals eine Schreibwerkstatt unter der Leitung der bekannten Salzburger Autorin Birgit Birnbacher statt.

Siehe auch Schreibwerkstatt mit Autorin Birgit Birnbacher.

Autorin Birgit Birnbacher mit acht der zehn Teilnehmer:innen der Schreibwerkstatt 2024.

 

Hier die Rückmeldung einer Teilnehmerin:

Inja Kargl: Schreibwerkstatt mit Birgit Birnbacher

Vom 1. bis 3. März 2024 habe ich einen von der Brigitte-Schwaiger-Gesellschaft veranstalteten Schreib-Workshop in Freistadt besucht. Zusammen mit der Autorin Birgit Birnbacher („Ich an meiner Seite“, „Wovon wir leben“, …) fand die Schreibwerkstatt in der HAK/HTL in Freistadt statt. Wir waren zehn Teilnehmer und Teilnehmerinnen und jeder/jede hatte einen Text parat, zu dem man Feedback haben wollte.
Am Freitag begann der Workshop um 14:00 Uhr mit einer Begrüßung durch die Brigitte-Schwaiger-Gesellschaft. Es folgte eine kurze Vorstellrunde. Anschließend erklärte uns Birgit Birnbacher den Ablauf: Für jeden Text sollen wir uns eine dreiviertel Stunde Zeit nehmen, in der dieser vorgelesen wird, und anschließend folgen eine Feedbackrunde und eine Analyse.

 

Im Folgenden finden Sie Texte der teilnehmenden Jugendlichen:

Iris Leopoldseder: Irym

Irym war eine kleine Insel, zwei Tage mit dem Schiff vom Festland entfernt. Einige sahen Irym nur als kargen, bewachsenen Felsen im Meer, andere sagten, es sei nicht erwähnenswert und wieder andere hatten noch nie in ihrem Leben von der Insel gehört. 
 Wenn der Herbst an die Tür klopfte, war dies der Anbruch einer rauen, düsteren Zeit für Iryms Bewohner. Der Nebel war so dicht am Morgen, dass man die Hand vor den Augen nicht sah – aber es war kein Vergleich zu den Stürmen, die Tag für Tag über die Insel hinwegfegten. Winde, so stark, dass man glaubte, in die Luft gerissen zu werden. Regen, dessen Tropfen wie Messer vom Himmel regneten und einem binnen Sekunden das Gefühl gab, die Haut würde einem mitsamt der Kleidung vom Körper gerissen werden. Danach wurde es kaum besser: Im Winter war es bitterkalt und die Wolken ließen so viele weiße Flocken fallen, dass man kaum die Haustür öffnen konnte. Man verkroch sich in die Häuser, vor dem prasselnden Kaminfeuer kauerten sich die Familien unter Decken zusammen und beteten zu den Göttern, dass die Schneestürme weiterzogen. Im Frühling verging diese Zeit des Zauderns, denn im Frühling, nachdem die Schneestürme über die Insel hinweggefegt waren und es allmählich zu Tauen begann, zeigte sich, dass Irym keineswegs ein karger Fels war. Wenn die ersten Vögel zu zwitschern begannen, brach auch Iryms Schönheit hervor. Saftiges Gras, welches sich im Wind wiegte und Blumenfelder, die sich bis zum Strand erstreckten.
 An solch einem schönen Frühlingstag trat der achtjährige Rob aus seinem Haus. Ein gutes Haus aus festen Eichenstämmen und Stein, die den Stürmen im Herbst und dem Schnee im Winter trotzten. Rob schloss die schwere Tür hinter sich und ging zwischen den Häusern die Straße entlang zum Hafen. Von dem Haus seiner Familie war es nur ein kurzer Weg zum Hafen. 
 Irym hatte zwei kleine Dörfer - eins um den Hafen herum und ein anderes auf dem Berg. Und dort wollte Rob hin. Der kleine Rob hatte nämlich eine bedeutende Aufgabe. Er durfte jetzt schon seit fast einem Jahr den alltäglichen Brief der Hafenwächter zu den Wachen im Bergdorf tragen. Eine Aufgabe, die Rob nur zu gern erledigte. 
 Es waren nicht viele Schiffe am Hafen von Irym – es waren hauptsächlich Fischerboote und kleine Langboote. Alle drei Tage kam ein größeres Schiff vom Festland, mit Lieferungen von allen möglichen Dingen, an. Morgen war wieder so ein Tag, diese Tage mochte Rob am meisten – neben den sonnigen Frühlingstagen und den kühlen Sommertagen, von denen es nicht allzu viele gab. Rob grüßte einen Fischer, der sein Boot für die tägliche Arbeit vorbereitete. Das Wasser im Hafen sah schon fast türkis aus und Sonnenlicht tanzte über die Wellen. Der Geruch von Brachwasser und angebratenem Fisch stieg dem Jungen in die Nase. 
 Rob betrachtete das Meer im Vorbeigehen allerdings kaum, er konzentrierte sich nur auf das große Steinhaus am Rand des Hafens. Es war schon fast traurig, fand Rob, wie heruntergekommen die Kaserne der Hafenwächter war. Seit fast drei Jahrhunderten stand es schon hier, Wind, Wetter und dem Meer ausgesetzt. Rob stieg die Steinstufen zum Eingang hinauf und schaute die Wache in blank polierter Rüstung und mit dem Speer in der rechten und dem Schild in der linken Hand an. Diese besah ihn mit einem kurzen Blick und ließ Rob dann passieren. 
 Jedes Mal, wenn Rob in die Kaserne ging, erfüllte es ihn mit Stolz – welcher Achtjährige konnte schon von sich behaupten, im Dienst von den herausragenden Kriegern des Königreichs zu stehen? Rob hatte nämlich einen Traum: Er wollte, sobald er alt genug war, selbst Soldat werden. Seit er das erste Mal – als er alt genug war, um es zu verstehen, was das Wort Soldat bedeutete – einen Soldaten gesehen hatte, hatte er selbst ein Bild von sich im Kopf: Rob, in glänzender Rüstung, ein Schwert in der Hand auf dem Schlachtfeld. Zu dumm nur, dass es seit Jahrhunderten keinen Krieg mehr gegeben hatte.
 Mit Bildern von sich im Kopf, wie er erfolgreich Feinde, die es nicht gab, vertrieb, stieg er die Stufen zum Büro des Schreibers hinauf. Dieser hatte – wie jeden Tag – schon den Bericht verfasst und war bereits über ein weiteres Blatt Papier gebeugt. Rob nahm den versiegelten Bericht und steckte das zusammengerollte Blatt Papier in seine lederne Umhängetasche. 
 »Guten Morgen«, sagte Rob – eine Begrüßung und eine Verabschiedung. Der Schreiber wedelte nur mit seiner tintenbefleckten Hand herum und zischte: »Und jetzt beeil dich Junge, und stör mich nicht weiter.« Der grummelige alte Mann war wohl gereizt – wie jedes Mal, wenn Rob auftauchte. Rob dachte aber gar nicht daran, sich beirren zu lassen. Also stieg er frohen Mutes die Treppe wieder hinunter, die er gekommen war und machte sich auf den Weg in das höhergelegene Bergdorf. 
 Und als Rob in den wolkenlosen, sonnigen Himmel blickte wusste er, dass heute ein guter Tag werden würde. 

Iris Leopoldseder, Gymnasium Freistadt


Inja Kargl: Das Spiel mit der Zeit

 Prolog, Sommer 1932, Österreich
Elisabeth konnte nicht sagen, was sie weckte. Vielleicht die Sonne, die durch das kleine Fenster schien. Vielleicht aber auch ein Geräusch von unten. Sie öffnete die Augen und lächelte. Heute war ihr Geburtstag. 16 Jahre. Ganz konnte sie es immer noch nicht glauben.
Sie ging hinaus auf den Gang. Da hörte sie schon ihre Familie, die unten wohl noch die letzten Vorbereitungen machte. Elisabeths Lächeln wurde breiter und strahlender. Im Eiltempo zog sie sich an und lief die Treppe hinunter. Im Esszimmer wurde sie bereits erwartet.
Ihre Eltern und ihre große Schwester saßen am Tisch. Vor ihnen stand ein kleiner Geburtstagskuchen. Christina musterte ihre kleine Schwester warm, als hätte sie sich mit ihren nun 16 Jahren endgültig in eine Dame verwandelt. Ihre Mutter lächelte und ihre Augen strahlten. Der Vater erhob sich, als seine jüngste Tochter den Raum betrat. Er schritt auf Elisabeth zu, die vor Freude auf der Stelle tanzte. Er verbeugte sich, nahm ihre Hand und küsste sie. Dann trat er einen Schritt zurück und musterte sie. Tränen bildeten sich in seinem Auge. „Meine Elisabeth“, sagte er mit einer leicht heiseren, tiefen Stimme.
Nun konnte Elisabeth sich nicht mehr halten. Sie umarmte ihren Vater stürmisch, sodass dieser beinahe das Gleichgewicht verlor, aber daraufhin ein fröhliches Lachen vernehmen ließ. Die Mutter und die Schwester hatten ebenfalls Tränen in den Augen, als sie sich etwas weniger stürmisch an der Umarmung beteiligten.
Elisabeth war einfach nur glücklich, als sie ihre liebsten Menschen umarmten. Sie konnte auch nicht sagen, wie lange sie so verharrten. Schließlich war es doch ihr Vater, der seine Frau und seine beiden Töchter sanft aber entschieden von sich schob.
„16, ja?“, wisperte ihre Mutter und Tränen rannen ihr erneut über das Gesicht. Auch Elisabeths Gesicht war nass von ihren eigenen Tränen und von denen ihrer Schwester. Unbeholfen wischte sie sich mit dem Handrücken über die Augen.
„Nun.“ Ihr Vater räusperte sich und setze sich wieder an den Tisch. Die restliche Familie tat es ihm gleich. Die weiblichen Familienmitglieder nahmen alle ein Taschentuch aus ihrem Morgenrock und wischten sich die Tränen fort.
Dann waren alle Blicke auf Elisabeth gerichtet, die von einem zum anderen sah und sich des übermütigen Lächelns in ihrem Gesicht noch immer nicht erwehren konnte. Ihr Vater und ihre Mutter tauschten einen vielsagenden Blick aus.
„Elisabeth“, begann ihr Vater „nun bist du 16 Jahre alt. Es ist Zeit, dass du es erfährst.“
Ihre Mutter bemühte sich nach Kräften, nicht wieder zu weinen. Doch ihr lächelnder Mund zitterte.
Elisabeths Lächeln trübte sich etwas. Was sollte sie erfahren? Egal, sie erfuhr etwas! Höchstwahrscheinlich eine Sache für Erwachsene!
Aber als sie die Blicke sah, die ihre Familie austauschte, wusste sie, dass es nichts Banales war.
Und als sie einige Minuten später frühstückte, war sie sich bewusst, dass das, was sie gerade erfahren hatte, ihr Leben wohl für immer verändern würde.
Kapitel 1
Sophia war glücklich. Heute war ihr Geburtstag. Sie war bereits mit ihren Eltern und ihrem großen Bruder im Kino gewesen. Danach waren sie gut essen gegangen und in der nächsten Zeit sollte noch ihre Urgroßmutter zu Besuch kommen. Sophia liebte ihre Uroma Zu ihr hatte sie die wahrscheinlich stärkste Bindung innerhalb ihrer Familie. Ihre Mutter war sehr bald nach ihrer Geburt wieder arbeiten gegangen und so hatte sich ihre Uroma Elisabeth um sie gekümmert, obwohl sie schon damals sehr alt war.
Früher war sie ihrem Bruder auch sehr nahegestanden, aber seitdem er 16 geworden war, hatte er sich endgültig von ihr distanziert. Was aber auch verständlich war, da er mit der Schule sehr viel zu tun hatte. Außerdem wurde er in diesem Sommer bereits 19 Jahre alt und studierte schon seit einiger Zeit in der nächsten Stadt. Er wohnte zwar noch daheim, aber Sophia fühlte, dass er nur auf eine Gelegenheit wartete, um ausziehen zu können.
Sophia wurde aus ihren Gedanken gerissen.
„Mama!“, heulte Louis in Babysprache und deutete mit einem Finger anklagend auf Papa. „Der Papa will sich das letzte Kuchenstück mit Schokolade darauf nehmen!“
Sophia lachte. Auch wenn die Beziehung zu ihrem Bruder nicht mehr so eng war, brachte er sie doch immer zum Lachen.
Papa verschränkte gespielt verärgert die Hände und reckte das Kinn übertrieben hoch in die Luft.
„Sophia hat gesagt, dass ich es haben kann“, rechtfertigte er sich mit einem vorgetäuscht beleidigten und zugleich etwas belustigten Unterton in der Stimme.
Mama wartete in der Küche darauf, dass der Kaffee endlich fertig war. Nun drehte sie sich um, sodass ihr modischer blonder Bob durch die Luft flog.
„Na, na!“, rief sie und stemmte die Hände in die Hüften. „Wer wird denn MEINEM Geburtstagskind den Kuchen wegessen?“, fragte sie, zog eine Augenbraue hoch, so wie nur sie das konnte, und sah Papa gespielt streng an, der absichtlich weiter nach unten rutschte, um kleiner zu wirken. Dabei machte er große Augen und einen Schmollmund.
Sophia musste so viel lachen, dass sie sich an dem Orangensaft verschluckte und nicht mehr aufhören konnte zu husten und zu lachen. Ihre gesamte Familie besaß einen speziellen Humor, der für Außenstehende wahrscheinlich nicht immer nachvollziehbar war. Nun lachten auch die anderen mit. Kaum hatte Sophia fertig gehustet, klopfte ihr ihr Bruder zweimal so fest auf den Rücken, dass Sophia das Gefühl hatte, ihre Wirbelsäule wäre nun gebrochen.
„Hey!“, beschwerte sie sich, aber Louis zog eine Unschuldsmine. „Ich wollte nur helfen“, verteidigte er sich. „Jaja, wissen wir alle“, sagte Mama lachend und setze sich mit ihrem Kaffee wieder an den Küchentisch, und sah auf die weiße Wanduhr. „Punktgenau 16:00 Uhr“, meinte sie und schlürfte an ihrem Kaffee, der eigentlich noch viel zu heiß war.
„Das heißt,“, machte Papa weiter, „dass Uroma Elisabeth gleich da sein müsste.“
Als Sophia gehustet hatte, hatte er sich doch noch das letzte Geburtstagstortenstück mit Schokolade genommen, wie Sophia grinsend feststellte.
Auch Louis hatte es bemerkt, hob stirnrunzelnd eine Augenbraue und sagte dazu aber nichts mehr. Stattdessen bemerkte er: „Uroma wird sich doch wohl nicht verspäten. Ich glaube sie ist in ihrem Leben noch nie zu spät gekommen.“
Mama wollte gerade etwas erwidern, als es läutete. Papa schüttelte seine Armbanduhr und warf anschließend einen Blick darauf. „16:00 Uhr und 30 Sekunden“, sagte er kopfschüttelnd. „Ich glaube, dass du Recht hast, Louis. Wie macht sie das? Kommt sie zwei Minuten zu früh würde sie lieber draußen warten, um genau zu der ausgemachten Uhrzeit zu läuten.“
Dann stand er auf, und ging zur Tür. Sophia war aber die erste im Vorraum und sie riss die Türe auf.
Vor ihr stand eine zittrige alte Frau. Sie hatte viele Falten im Gesicht und die grauen Haare waren nach hinten zu einem strengen Dutt gebunden. Die Haube, die sie aufhatte, da war sich Sophia sicher, war älter als ihre Oma. Sie trug ein Kleid, dass bis zu den Knöcheln reichte, und ihre Füße steckten in Turnschuhen, die allerdings relativ neu aussahen. Auf ihren Rollator gestützt schaute sie langsam über ihre rechte Schulter und sagte zu dem Taxifahrer, der sie hergebracht und ihr wahrscheinlich beim Ein- und Aussteigen geholfen hatte: „Danke mein Junge!“. Der junge Mann nickte zuerst ihr, dann Sophias Vater zu und ging den gepflasterten Weg zurück zu seinem Taxi. Vor 16 Jahren hatte sich Elisabeth noch um Sophia als Baby gekümmert und nun überlegte Mama, eine 24-Stunden-Pflege für sie zu organisieren.
„Oma!“, rief Mama jetzt, „Komm herein!“
Uroma Elisabeth ruckelte im Schneckentempo in das Vorhaus und es dauerte zehn Minuten, bis sie alle wieder am Tisch saßen. Sophia saß neben ihrer Uroma und drückte freudig, aber nicht zu fest ihre Hand. Sie strahlte und Elisabeth strahlte mit. Von all ihren Urenkelinnen war Sophia der ungekürte Liebling. Vielleicht weil sie sich angeblich mal so ähnlich gesehen hatten oder weil sie seit Sophias ersten Stunden eigentlich die erste Ansprechperson war.
Plötzlich wirkten die anderen ganz nervös. „Willst du vielleicht einen Tee, Oma? Oder ein Wasser?“, fragte Mama sichtlich angespannt.
Elisabeth winkte ab. „Habt ihr es ihr schon erzählt?“, fragte sie leicht heiser und langsam. „N-nein“, stammelte Papa. „Wir wollten noch auf dich warten.“
Es änderte sich etwas in dem Gesicht der Uroma. Ihre Augen wurden wacher und böser. „Warum habt ihr auf mich gewartet?“, rief sie aus. Sophia zuckte zusammen, ihre Augen wurden groß und sie löste ihre Hand von ihr. So laut hatte sie Elisabeth noch nie reden gehört.
„Das arme Kind den ganzen Tag auf die Folter zu spannen. Also ich habe es damals bereits beim Frühstück erfahren!“ Bei jedem Wort wurde sie in der Aussprache deutlicher und schärfer. Sophia warf einen ängstlichen Blick zu ihren Eltern, die aber keineswegs irritiert von der deutlichen Sprache waren. „Nun ja“, meinte Mama und schien ihre Fassung wieder gewonnen zu haben. „Du hast dich seit ihrer Geburt auf diesen Moment gefreut und da dachten wir, dass du vielleicht dabei sein solltest.“ Während sie das sagte, strich sie sich ihre schulterlangen Haare zurück.
Sophia hätte dem wohl keine Beachtung geschenkt, doch jetzt war sie noch irritierter. Warum waren die Haare ihrer Mutter nicht mehr zu einem Bob geschnitten? Hatte sie eine Perücke auf? Aber bevor sie etwas sagen konnte, seufzte Elisabeth laut auf und lehnte sich zurück.
Die Falten waren aus ihrem Gesicht verschwunden. Insgesamt wirkte sie buchstäblich mindestens 20 Jahre jünger.
Am Tisch herrschte ein angespanntes Schweigen, das aber nun von Sophia gebrochen wurde: „Was ist eigentlich los?“
Elisabeth sah die Familie vielsagend an. Durch Mamas Körper ging ein sichtlicher Ruck und sie nickte, als würde sie den Worten ihrer Oma zustimmen.
„Nun ja, wie soll ich das erklären“, fragte Mama, die sich anscheinend angesprochen fühlte. „Also es gibt noch mehr zwischen Himmel und Erde. Und zwar sind es sogenannte Fähigkeiten“.
Sophia hatte ihr zwar zugehört, aber was redete ihre Mama denn da? Außerdem… Sie kniff die Augen zusammen. Waren die Haare ihrer Mutter schon wieder um einige Zentimeter länger?
Louis schlug mit der Faust auf den Tisch. „Jetzt redet doch nicht so um den heißen Brei herum!“, rief er und sah seine kleine Schwester an, die aber noch immer auf die Haare ihrer Mutter konzentriert war.
„Sophia schau mich an!“, donnerte er mit einer Stimme, die viel lauter als normal war. Außerdem hatte sie mehr Volumen bekommen und war um einige Oktaven tiefer.
Sophia bekam es mit der Angst zu tun. Was war hier los? Warum verhielten sich alle so komisch? Sie überlegte, ob sie davonlaufen sollte. Aber würde sie weit kommen? Wahrscheinlich war das einer ihrer Albträume, in dem sie sich sowieso keinen Meter bewegen konnte. Der Psychologe hatte gemeint, dass das wegen ihrer sensiblen und ruhigen Art leicht der Fall sein konnte.
Da es eh nur ein Alptraum war, konnte sie ja tun, was sie wollte. Also auch weinen. Kaum hatte sie das gedacht rannen Tränen über ihr Gesicht.
„Sophia, Maus!“ Mama sprang auf und lief zu ihr. Sophia stand auf und war überrascht, dass sie sich bewegen konnte. Sie umarmte ihre Mutter und spürte sofort Geborgenheit und das Gefühl sicher zu sein.
„Alles ist gut. Es tut mir leid, dass wir dir Angst gemacht haben“, flüsterte Mama in ihr Ohr und streichelte ihr über die braunen Haare. Als Sophia sich nach einiger Zeit wieder löste, hatte niemand was gesagt. Alle sahen sie nur mitleidig an. Sie zog die Nase hoch, wollte sich aber nicht mehr setzten. So stand sie da und schaute allen in die Augen. „Was ist los.?“, fragte sie langsam und leise.
Louis machte Anstalten etwas zu sagen, aber Elisabeth sah ihn streng an und da schloss der den Mund wieder.
Uroma sagte, ohne sie anzusehen: „Es tut mir leid, dass wir dir Angst machen. Nur dieses Thema ist eben etwas kompliziert und ich kenne niemanden, der es geschafft hat, es ohne große emotionale Aufregung hinter sich zu bringen. Wie deine Mutter bereits erwähnt hat, geht es um Fähigkeiten. Manche sagen auch „Gabe“ oder „Kunst“ dazu. Es ist alles das Gleiche. Nun, es beschreibt das Ding, dass du zu deinem 16. Geburtstag bekommst. Genauso wie jedes Mitglied von den insgesamt sechs Familien auf der Welt, die damit gesegnet sind.“ Endlich sah sie ihre Urenkelin wieder an: „Diese Fähigkeiten sind wichtig und für jede Einzelne gibt es einen Grund, warum sie zugeteilt wurden.“
Kapitel 2, Herbst 1941, Warschau
Magdalena presste ihren Rücken gegen die kalte Ziegelmauer. Wenn sie jetzt einen Fehler machte, hätte dies fatale Konsequenzen. Aber nicht nur für sie, und genau das war es, was ihr unglaubliche Angst machte.
Sie hörte Stiefel im Gleichschritt voranstampfen und atmete einmal tief durch. Dann setzt sie ein Lächeln auf und ging um die Hausmauer mit klaren Schritten dem Ghetto entgegen.
Der Wachmann sah zuerst sie, dann ihre Papiere misstrauisch an, winkte sie aber dann durch. Magdalena spürte seinen Blick. Aber nicht im Rücken. Eher weiter unten. Das machte sie noch nervöser. Allein, dass sie hier war, war eigentlich illegal. Eigentlich. Aber eigentlich waren die menschenverachtenden Zustände im Ghetto illegal.
Als Magdalena das dachte, wurde ihr wieder etwas leichter. Und wer hatte sonst so gute Voraussetzungen Medikamente in und Kinder aus dem Ghetto zu schleusen, wenn nicht sie?
Während sie die ihr bekannte Straße betrat, dachte sie an ihren 16. Geburtstag vor drei Jahren. Seitdem hatte sich einiges verändert. In Polen und in ihrem persönlichen Leben.
Plötzlich schnappte sie nach Luft und betastete ihr Gesicht. Verdammt. Sie sollte sich doch konzentrieren. Es war schon einige Male vorgekommen, dass wenn sie unkonzentriert war, ihr Gesicht die Tarnung verloren hatte. Wie sah sie eigentlich gerade aus?
Magdalena blieb kurz bei einem kaputten Fenster stehen und betrachtete sich. Sie hatte schulterlange, rote, glatte Haare, braune Augen und eine etwas schiefe Nase. Sie nickte sich selbst zu und ging weiter. Glück gehabt. Ihre Haare hatten nicht wie von Zauberhand ihre Farbe geändert und ihre Wangenknochen waren ebenfalls auf gleicher Höhe wie schon heute in der Früh.
Die Fähigkeit, ihr Gesicht nach Belieben zu gestalten und jederzeit wieder umzuändern, hatte sie schon in manch lustige, komische, aber auch gefährliche Situationen gebracht.
Sie musste gegen ihren Willen lächeln, als sie sich daran erinnerte, wie sie drei große Kisten voller Bücher nacheinander aus dem Haus geschleppt hatte und vergessen hatte, dass sie noch das Gesicht einer 70-jährigen Frau hatte. Ihre Nachbarn waren ordentlich erstaunt gewesen, welche Kraft man in diesem Alter noch haben konnte…
Sie war da. Das Krankenhaus ragte als großer und grauer Block zum Himmel. Es war alt und schäbig, aber nicht ganz so verkommen wie die meisten Häuser hier. Außerdem waren hier zumindest einige Leute. In den Gassen davor hatte Magdalena niemanden gesehen.
Sie trat ein und wusste, dass sie nun sicher war. Zum Glück fühlte sie, dass die drei Päckchen mit Medikamenten noch in ihrem Ausschnitt waren.
Magdalena war wie jedes Mal zutiefst erleichtert. Ihr war nichts passiert und die Medikamente würden wahrscheinlich mehreren Kindern das Leben retten.
Kapitel 3
Sophia saß zitternd auf ihrem Bett. Auch wenn sie schon unzählige Male beim Psychologen war, hatte es ihr in dieser Hinsicht fast noch gar nichts gebracht. Vor neuen Sachen hatte sie Angst. Und diese Art von Angst war nicht normal. Sie war krankhaft und hat den Namen Neophobie.
Sophia konnte sich etwas damit beruhigen, da wohl die allermeisten Menschen Angst vor dieser Situation hätten, die ihr Leben komplett auf den Kopf stellte.
Sie hatte gewollt, dass alle sie kurz allein ließen, damit sie sich alles ruhig durch den Kopf gehen lassen konnte. Wenn sie es richtig verstanden hatte, hieß das also:
Es gibt sechs Familien auf der Welt, in denen jedes Mitglied zum 16. Geburtstag eine einzigartige Fähigkeit bekommt. Sophia waren einige Beispiele dieser Fähigkeiten aufgelistet worden und sie reichten von Handschrift verändern bis zu einer, wissenschaftlich eigentlich unmöglichen, ständigen Verjüngung.
Ihr war nie aufgefallen, dass ihre Uroma die Fähigkeit hatte, sich immer wieder selbst jünger zu machen. Aber ewig leben werde sie wohl nicht, hatte Elisabeth gleich hinzugefügt, als sie sich selbst als Beispiel nannte. Sie würde nämlich merken, wie es ihr mit zunehmendem Alter immer schwerer falle, sich zu verjüngen.
Es war für Sophia eigentlich ungreifbar. Ihre Uroma war schon über 130 Jahre alt. Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf. Aber tatsächlich hatte sie nie nach ihrem tatsächlichen Alter gefragt. Sie hatte angenommen, dass es zwischen 90 und 100 liege.
Nach Elisabeth hatte auch ihre Mutter deren Fähigkeit offenbart, indem sie die Augen zukniff und sich konzentrierte. Wenige Augenblicke später hatten ihre Haare schon bis zu ihrer Hüfte gereicht. Haarwachstum. Auch das war biologisch eigentlich nicht möglich.
Ihr Bruder hatte einen Satz gesagt und klang zuerst wie ein fünfjähriger Junge und dann wie ein 80-jähriger Mann. Anschließend hatte er sich geräuspert und seine Stimme wurde mit jedem Wort lauter und tiefer. Er hatte sie angegrinst und gefragt, ob er noch etwas sagen müsse.
Sophia hatte nur baff den Kopf geschüttelt und ihren Vater angesehen. Der hatte aber nur verlegen gegrinst. „Ich hab nur eingeheiratet“, hatte er fast entschuldigend gesagt.
Plötzlich klopfte es. Sophia zuckte zusammen.
„Sophia“, drang die Stimme ihrer Uroma plötzlich durch die Tür zu ihr, „Wenn du fertig bist, können wir herausfinden, was deine Fähigkeit ist“.
Augenblicklich wurde Sophia schwindelig und ihr Kopf begann furchtbar wehzutun. Diese Fähigkeit war neu: Neophobie. Ein Schluchzer entfuhr ihrer Kehle. Würde sie jemals mit neuen Dingen umgehen können?
„Sophia?“, fragte die Stimme hinter der Tür. „Lass mich bitte herein!“
Aber Sophia wollte nicht aufstehen. Ihr Kopf tat weh, ihr war schwindelig und sie schloss die Augen.
Als sie ihre Augen wieder öffnete, war es bereits dunkel.
Ruckartig setzte sie sich auf. War das alles nur ein Traum gewesen? Natürlich, was den sonst. Fähigkeiten. Was für ein Blödsinn. Fast hätte sie darüber lachen können, aber es war zu realistisch gewesen, um es lustig zu finden.
Schlaftrunken rieb sie sich die Augen und schlurfte zur Tür, um hinunter in die Küche zu gehen.
Am Tisch wurde Karten gespielt und alle sahen auf, als Sophia etwas verloren in der Tür stand und in die Runde blickte.
Augenblicklich fing Sophias Herz wieder an zu rasen. Ihre Uroma sah noch immer 20 Jahre jünger aus und die Haare ihrer Mutter waren bereits so lang, dass sie sie zu einem langen Zopf gebunden hatte.
Alle sahen sie warm und mitleidig an.
Da wusste Sophia, dass es leider kein Traum gewesen war, sondern sie sich wirklich mitten in der Realität befand.
Kapitel 4, Herbst 1941, Österreich
Elisabeth nickte dem Postboten knapp und mit einem kurzen Lächeln zu. Manchmal tat er ihr etwas leid. Für ihre Familie wurden sehr oft sehr schwere Pakete geliefert, die der arme Mann anschließend schleppen musste.
Heute allerdings nicht. Sondern nur Briefe. Von sechs verschiedenen Kontinenten, das wusste Elisabeth bereits. Auch sie hatte vor einigen Tagen sechs Briefe aufgegeben. Ebenfalls waren diese an sechs verschiedene Kontinente adressiert.
Allerdings hatte sie diese nicht verfasst, sondern dankenswerterweise ihre Schwester, die die Fähigkeit besaß, in allen auf dieser Welt existierenden Sprachen schreiben zu können - und dabei musste sie diese Sprache nicht einmal sprechen. Ihre Hand wusste von selbst was sie zu tun hatte. Egal ob es chinesische Schriftzeichen waren oder kyrillische Buchstaben.
Es war ein kalter Novembermorgen, weshalb Elisabeth schnell wieder nach drinnen ging.
Ihre Mutter, ihr Vater und ihre Schwester warteten bereits darauf, dass sie zurückkam. Sie standen zu dritt im Wohnzimmer und diskutierten darüber, dass die Lebensmittelpreise stetig weiter anstiegen, und wohin das noch führen werde.
„Ich hab sie!“, rief Elisabeth und trat mit den Briefen in den Raum. Sofort verstummte die Diskussion.
„Wunderbar!“ Ihre Schwester Christina war sofort aufgesprungen, setzte sich an den Esstisch und sah Elisabeth erwartungsvoll an.
Mutter und Vater kamen ebenfalls vom Wohnzimmer in die Küche. „Ich bin ja besonders gespannt auf den Brief von Magdalena“, meinte ihr Vater, während er sich setzte.
Besorgt legte die Mutter ihre Stirn in Falten. „Ich hoffe, sie wird für ihren Mut nicht mit dem Leben bezahlen. Sie wäre nicht die erste.“
Elisabeth schluckte. Ihre Cousine, die einen Polen geheiratet hatte, schien, seitdem ihre Mutter gewaltsam durch die Nazis ermordet worden war, noch verbissener und mutiger geworden zu sein. Als müsse sie sie rächen.
Sie schob den Gedanken beiseite. Magdalena war eine geschickte Frau und wusste sehr gut mit ihrer Fähigkeit umzugehen. Aber ihr Vater machte sich viele Gedanken um seine einzige Nichte. Genauso wie er sich um seine kleine Schwester Maria, Magdalenas Mutter, Gedanken gemacht hatte. Sie war bereits am Anfang von den Nazis ermordet worden, weil sie einmal mit einem Mann verheiratet war, der jüdische Großeltern gehabt hatte. Nach dem Tod von Elisabeths Tante Maria hatte der Vater die jugendliche Magdalena in eine polnische Provinz geschickt, da er sie dort vor den Nazis sicher glaubte. Weit gefehlt. Und nun war Magdalena sogar nach Warschau gezogen, um dort im Untergrund Widerstand zu leisten.
Elisabeth sah auf und ihr Vater hatte den traurigen Ausdruck in seinen Augen, der immer auftauchte, wenn er an Maria erinnert wurde.
Er räusperte sich. „Gut. Ich fange mit dem Brief aus China an. Schließlich riskiert die Familie der Líns auch täglich ihr Leben. Wenn herauskommt, dass sie den japanischen Soldaten chinesische Papiere besorgen…“
Er sprach nicht weiter. Jeder wusste, was er sagen wollte, aber nicht aussprach. Stattdessen setzte er seine Brille auf, nahm den Brieföffner und den Brief mit den chinesischen Schriftzeichen in die Hand.
Die restliche Familie stelle sich um ihn herum auf und der Vater begann mithilfe seiner Fähigkeit die Schriftzeichen zu entschlüsseln und den Brief laut vorzulesen.
Kapitel 5
Sophia setzte sich wieder an den Tisch, während Elisabeth ihr eifrig etwas über die Fähigkeiten erzählte. Ihr Kopf tat etwas weh, aber das schob sie zur Seite und konzentrierte sich.
„… das heißt also, dass du ganz tief in dich hineinspüren musst. Dann wirst du ein Bild vor dir sehen und das beschreibt deine Fähigkeit“, endete die Uroma.
Sophia nickte etwas benommen. „Höchstwahrscheinlich“, meine ihr Bruder, „wird deine Fähigkeit auch etwas Biologisches sein. Bei mir, Mama und Elisabeth ist das zumindest so. Darum ist es wahrscheinlich, dass du auch so etwas ähnliches bekommst. Vielleicht Größenveränderung“. Dann verbildlichte er seinen Vorschlag, indem er mit der Hand zeigte, wie sehr Größe variieren konnte. Dazu schnitt er Grimassen.
Normalerweise musste Sophia über so etwas lachen, aber jetzt entlockte es ihr gerade einmal ein schwaches Lächeln. Aber da spürte sie alle erwartungsvolle Blicke auf sich gerichtet und ihr leichtes Lächeln verschwand.
„Schließ die Augen, Schatz“, sagte Mama sanft, „Und tu das, was Elisabeth gesagt hat“.
Sophia schloss die Augen. Die plötzliche Schwärze schien tröstlich.
Nach einiger Zeit tauchte tatsächlich ein Bild vor ihrem inneren Auge auf. Es zeigte genau die Situation, wie sie jetzt aussehen musste. Sie selbst in der Mitte und alle anderen den Blick auf sie gerichtet. Das Bild bewegte sich und plötzlich war Sophia aus dem Bild verschwunden. Alle anderen im Bild erschraken und Sophia auch, aber sie ließ die Augen geschlossen und auf einmal tauchte sie wieder auf. Genau an der Stelle, an der sie zuerst verschwunden war. Die Familie im Bild wirkte etwas verwirrt, aber glücklich.
Verwirrt öffnete Sophia die Augen wieder. Alle sahen sie erwartungsvoll an.
„Und?“, fragte Elisabeth.
Sophia runzelte die Stirn und erläuterte, was sie gesehen hatte.
Genau wie in Sophias Vision waren alle verwirrt.
„Verschwunden. Es hätte unter Umständen sein können, dass du dich unsichtbar machen kannst, aber diese Fähigkeit hat es schon einmal gegeben. In Äthiopien bei den Fikrus“. Uroma runzelte die Stirn. „Ich kann mir das nicht erklären.“
Sophia wollte gerade etwas sagen, doch plötzlich begann sich alles zu drehen. Sie schrie, aber man hörte es nicht. Verängstigt kniff sie die Augen zusammen und so schnell wie sich alles zu drehen begonnen hatte, hörte es auch wieder auf. Langsam öffnete Sophia die Augen wieder.
Sie saß noch immer auf der Essbank, aber die restliche Familie war verschwunden. Sophia war drauf und dran  wieder Angst zu bekommen, da hörte sie eine Stimme: „Mama, Mama komm. Wir müssen Kekse ausstechen!“
Eine ungefähr 3-jähriges Mädchen lief in das Zimmer. Sie hatte eine wahrscheinlich vom Keksteig beschmutze Schürze um und Mehl auf der Nase. Als sie Sophia sah, blieb sie verwirrt stehen, machte große, angstvolle Augen und trat einen Schritt zurück.
„Mama, Mama, komm schnell“, rief das kleine Mädchen und rannte in die Richtung zurück, aus der sie gekommen war.
Sophia sah sich hektisch um, was machte dieses Mädchen hier und wo waren die andren? Da stutze sie. Die Lampe, die über dem Esstisch hing, war eine andere als sonst. Genauer gesagt war es die Lampe, die Mama vor einigen Jahren ausgetauscht hatte.
Aber bevor sie genau darüber nachdenken konnte, hörte sie wieder die Stimme des kleinen Mädchens, das nun von seiner Mama begleitet zu werden schien.
Sophia hatte sich das Mädchen nicht wirklich angesehen, doch jetzt realisierte sie es. Das war sie.
Sobald sie das gedacht hatte, begann sich wieder alles zu drehen. Sophia schrie wieder und wieder war es nicht zu hören. Da wurde das Bild wieder klarer und sie saß wieder auf dem Küchentisch.
Anscheinend in dem richtigen Jahr, denn ihrer Familie war wieder da.
Sophias Atem ging so schnell, als hätte sie gerade einen Marathon gelaufen.
„Da ist sie wieder“, rief Louis. „Wie…?“ Er kam nicht dazu weiterzureden.
„Meine Güte, Sophia!“, rief Papa. „Du warst gerade nicht da. Aber nur für eine Sekunde. Kannst du dich beamen?“
Mama warf Papa einen herablassenden Blick zu.
„Nein.“ Sophia schüttelte den Kopf und versuchte ihre wirren Gedanken in Worte zu fassen: „Ich war hier, aber ihr wart nicht da und dann bin ich selber zu mir gekommen, aber ich war noch klein…“
Sophia verstummte, als sie merkte, dass das, was sie sagte keinen Sinn machte. Sie verstand es ja selbst nicht. Dementsprechend verwirrt starrten sie alle an. Mit Ausnahme von ihrer Uroma.
„Zeitreisen“, hauchte sie mit großen Augen. „Du bist in der Zeit zurückgereist und hast dich selbst gesehen.“
Sophia nickte.
Sichtlich baff ließ sich Elisabeth gegen die Sitzbanklehne fallen und schüttelte den Kopf. Dann sah sie ihre Urenkelin wieder an.
„Zeitreisen ist wahrscheinlich eine sehr mächtige Fähigkeit. Das muss dir bewusst sein.“
Kapitel 6, Herbst 1941, Warschau
Magdalena atmete tief ein und lenkte ihre Schritte wieder zum Bewacher des Ghettoausgangs. Das Kleinkind in dem Sarg, der auf der Unterseite Löcher hatte, hatte sich schon auf dem ganzen Weg hierher ruhig verhalten. Magdalena betete, dass es noch ein paar Minuten durchhalten möge.
Sie war bei dem Wachmann angekommen.
„Was ist das?“, schnauzte er sie auf Deutsch an.
Ruhig bleiben. Mit einem unterwürfigen Blick strich sie ihre blonden Haare zurück. „Das ist das verstorbene Kind meiner christlichen Tante. Es hat sich hier hineingeschlichen und ist dann von einem zerbombten Haus gefallen“, sagte sie möglichst gelassen. Sie hoffte, dass ihr makelloses Deutsch ihr einen kleinen Vorteil verschaffen könnte.
Warum war dieser strenge Wachmann heute hier? Laut dem Dienstplan hätte um diese Zeit der Mann, der gern mit ihr flirtete, hier sein sollen. Dieser hätte sie bestimmt auch mit einem Elefanten hinausgelassen.
„Aufmachen!“, befahl der Wachmann mit lauter Stimme.
Magdalenas Herz setzte einen Schlag aus. Aufmachen?
„A-Aber sie werden doch einem christlichen Kind seine…“
„Ich hab gesagt aufmachen!“
Magdalena war wie gelähmt. Sie hatte dem kleinen Jungen zwar gesagt, dass er sich schlafend stellen solle wenn der Sarg geöffnet werden würde, aber er war erst vier Jahre alt. Er hatte es sicher in jenem Moment vergessen, in dem sie es ihm gesagt hatte. Er war noch zu klein, um das alles zu verstehen. Zu klein, um zu verstehen, dass seine Mutter ihn unter Tränen Magdalena anvertraut hatte, damit sie ihn für eine ungewisse Zeit bei einer christlichen Familie unterbringen konnte. Zu klein, um sich der großen, damit verbundenen Gefahr bewusst zu sein.
Der Mann machte drei große Schritte und riss den Sargdeckel mit bloßen Händen auf, sodass das Holz splitterte.
Das Kind schrie auf.
Magdalena auch.
Ihr erster Impuls war „rennen“, aber was würde dann mit dem Jungen passieren?
Da war es schon zu spät. Mit einem Satz sprang der Wachmann wieder zu ihr und packte sie um die Hüfte.
Magdalena schrie erneut.
„So schön und doch so verdorben…“, rief der Mann, doch auch er brach ab und begann selbst zu schreien. Magdalena merkte es selbst. Ihre Haare wurden kürzer, ihre Augen heller und ihr Mund schmäler. Ihre Tarnung war dahin. Ihr Körper hatte anscheinend entschieden, dass es gerade etwas Wichtigeres gab, als das Gestalten des Gesichtes.
„Hexe“, keuchte der Wachmann und schleuderte sie weg.
Sie schlug mit dem Gesicht am Asphaltboden auf. Da fiel ihr das Kind wieder ein.
Sie hob den Kopf soweit es ihr noch möglich war und rief zu dem Jungen: „Biegnij!“ Lauf!
Sie konnte noch sehen wie der kleine Junge aus dem zersplitterten Sarg kletterte und in Todesangst wieder durch das Tor zum Ghetto rannte. Der Mann überlegte, ob er ihm nachlaufen oder bei der am Boden liegenden Magdalena bleiben sollte. Er entschied sich für das zweite und schrie irgendetwas, das sie aber nicht mehr verstand. Magdalena spürte noch Blut zwischen ihren Fingern, dann wurde ihr schwarz vor Augen.

 Inja Kargl, BORG Hagenberg


 

Zehn Jugendliche aus fünf verschiedenen Schulen freuten sich über die Feedbacks von Birgit Birnbacher.

 

Über die drei Tage verteilt, wurde somit Text für Text vorgetragen und die Textsorten reichten von einem Inneren Monolog über das „In-Worte-Fassen“ eines Musikstückes bis zu ausgereiften Romantexten. Ich war von der Vielfältigkeit und der Kreativität der Texte schwer beeindruckt. Am Sonntag machten wir noch eine kurze Abschlusslesung. Jeder/jede suchte sich einen eigenen Text aus, der vorgelesen wurde. Es war faszinierend, die Unterschiede der überarbeiteten Texte, verglichen mit der Erstvorlesung, zu erkennen.
Man hatte das Gefühl, dass man in diesem geschützten Rahmen alles sagen kann, was auch nur im Entferntesten mit Literatur zu tun hat, weil nur Gleichgesinnte anwesend waren. Ich hoffe, dass es in Zukunft ähnliche Veranstaltungen gibt, die das Schreiben von jungen Menschen unterstützen, da dieser Schreibworkshop eine sehr inspirierende Erfahrung für mich war.

© Inja Kargl, März 2024, BORG Hagenberg

 

Stefanie Wimmer: Fünfzehn

Kleidung, zu der jeder eine Meinung abgeben muss, jedes Wort, das die Münder der Menschen verlässt, beeinflusst sie, prägt ihre Meinung über ihr Aussehen. Wie soll sie sich durch Kleidung ausdrücken, wenn sie für alles kritisiert wird? Wie soll das Mädchen jemals zu einer selbstbewussten Frau heranwachsen?
Sie ist fünfzehn Jahre alt und hält nichts von den Meinungen der Männer auf der Straße oder in ihrem Wohnzimmer, doch unter keinen Umständen würde sie sagen was sie denkt.
Sie ist fünfzehn.
 Die Musik strömt durch ihre Kopfhörer mit der Hoffnung, das Außenleben auch nur für einen Moment vergessen zu können. Die Lieder erlauben ihr, sich zu verlieren, in ihren Gedanken zu verlaufen. Gestern während sie auf dem Weg nach Hause mit dem Bus war, rannte sie wild durch ein Maisfeld, während sie herzlich lachte und zurück auf die Liebe ihres Lebens blickte. Letzen Abend war sie die Prinzessin ihres Königreichs und tanze mit ihrem Erzfeind auf dem eleganten Ball zwischen Tüll und Sakkos, um die Deckung ihrer Mission nicht auffliegen zu lassen. Eventuell realisierte sie im Laufe des Abends, dass er doch nicht so schlimm war und sie erwischte sich selbst, als sie hypnotisiert auf die Lachfalten und Sommersprossen des jungen Mannes starrte. 
Nachts, wenn sie nicht schlafen kann, holt sie ihren Laptop heraus und öffnet Word in der Hoffnung, ihre Gefühle in Worte fassen zu können, doch meistens wird das Gerät nach einigen Minuten mit Frustration geschlossen und die Aggressionen gehen auf das Kissen über, das jetzt bestimmt laute Schreie abdämpfen müsste, wenn es nicht zwei Uhr nachts wäre. 
Auf ihrem Sessel sammeln sich Klamotten, sie liegt im Bett und es fühlt sich unmöglich an, jemals wieder aufstehen zu können. Ihre Mutter schreit ihr zum Essen, doch sie hat keine Energie, auch nur ein bisschen Appetit aufbringen zu können. Sie i(s)st nichts. 
Fünfzehn. 
 ‚Du bist jung, du hast keinen Grund, dass es dir schlecht geht‘
‚Anderen geht es schlechter‘
‚Du hast Essen auf dem Tisch und ein Dach über dem Kopf!‘
Ihr geht es gut.
Ihr geht es gut.
Ihr geht es nicht gut.
‚Sie will bestimmt nur Aufmerksamkeit‘
Vielleicht will sie ‚nur‘ Aufmerksamkeit, aber wäre das wirklich so schlimm?
Vielleicht will sie nur jemanden der sie sieht, sie wahrnimmt, ernst nimmt. 
Druck
Druck, den sie nicht mehr aushält
Erwartungen 
Erwartungen, denen sie nicht nachkommt.
Stolz
Stolz, zu dem sie aufleben muss. 
Angst
Angst, nicht genug zu sein. Angst, zu versagen. Angst, sich selbst zu enttäuschen.
Sie will es ja machen, doch warum ist es dann so schwer?
Sie gibt ihr Bestes, doch irgendwie ist es nie genug.
Sie scrollt gedankenlos durch Social Media, und obwohl sie nicht einmal an dem ganzen Drama interessiert ist, fühlt es sich an wie eine Pflicht. Irgendwo auch wie ein Zufluchtsort, ein Ort, an dem sie ihre Verpflichtungen ignorieren kann. Wenn man Social Media als eine Person ansehen würde, wäre die Verbindung zwischen ihr und Social Media wahrscheinlich als toxischste Beziehung in ein Guinness-World-Record Buch eingetragen worden. 
Sie ist fünfzehn, sie hat noch Zeit, doch es fühlt sich an, als ob alles schon zu spät sei. Der Zug fuhr genau vor ihrer Nase davon, obwohl sie nicht einmal zu spät war – sie war drei Stunden vor Abfahrt an der richtigen Plattform, doch jetzt ist er weg. Sie hatte ihre Chance verpasst und es bleibt unklar, ob noch eine kommt oder ob das die Endstation ist.
Fünfzehn.

Stefanie Wimmer, HLW Freistadt


Laura Strauß: Kapitel 1

Raues Kratzen im Hals weckte Antoine nach seiner langen Nacht. Er bemühte sich gar seine Augen zu öffnen, doch sie fielen ihm erneut zu. Eingetrockneter Kaffee war über seine Notenblätter geleert. Mit viel Überwindung schaffte er es, sich aus dem Bett zu reißen und begab sich in Richtung Hafen. Er wohnte nicht weit entfernt vom nächsten Café. Seine Wohnung war am abgelegenen Rande der Stadt. Ein tiefes Seufzen entfloh seinem Mund, als er die Kälte auf seinen Armen spürte. Ein Klingeln ertönte beim Öffnen der Glastür, die außen herum mit einem weiß-bemalten Holzrahmen geschmückt war. Vertieft in seinen Gedanken marschierte er zur Theke und bestellte sich einen Espresso, in der Hoffnung dieser würde ihn wecken. Seine Beine waren schwach und er setzte sich, während er Kopf abstützend auf seinen Kaffee wartete. Er schaute um sich. In dem Café saßen die üblichen alten Menschen. Als er ein wenig genauer hinblickte, bemerkte er Gilles, seinen langjährigen, er nannte ihn, guten Freund. Eine Geste von Gilles, der ihn schon bereits entdeckt hatte, machte ihm klar, dass er sich zu ihm setzen sollte. Er griff nach seinem Kaffee, der bereits fertig war und setzte sich zu ihm.
„Antoine! Mein Freund!“, ein Grinsen war zu sehen. „Wie geht es dir mit deiner Arbeit? Hast du nicht letztens erzählt, dass ihr an einer neuen Sonate arbeitet?“ „Ich würde lügen, wenn ich sagen würde es läuft hervorragend. Mein Chef ist unzufrieden mit mir, er hat viel zu hohe Erwartungen und diese kann ich unmöglich erfüllen. Obwohl ich Tag und Nacht arbeite, fühlt es sich an, als ob es nie ein Ende oder Zufriedenheit geben würde. Meine Bemühung allein genügt ihm nicht.“ Gilles Lächeln verwandelte sich in eine besorgte Miene. Antoine hatte seit Wochen diese Sonate im Kopf und jedes Mal, wenn er sie ansah, bekam er Selbstzweifel. „Überfordere dich nicht. Ich weiß, wie sehr du dich immer unter Druck setzt. Blende deine inneren Stimmen aus, sie werden dir noch deinen Schädel einschlagen.“ Es setzte eine kurze Pause ein, und darauf folgte: „Ich will mir keine Sorgen um dich machen müssen.“ Gilles Körperhaltung war verändert und er wirkte angespannt. „Das hast du auch nicht nötig, ich weiß, wann ich aufzuhören habe.“, er atmete laut aus. Antoine widmete sich endlich seinem lauwarmen Espresso, während er die Senioren am Tisch neben ihnen beobachtete, die mit erhobener Stimme über ein Fußballspiel diskutierten. Er betrachtete ihre hängenden Bäuche, die unter ihren Hemden hervorspähten, ach, wie sehr er doch Lärm hasste. Er knackste unruhig mit seinen Fingern und wandte seinen Blick wieder zu Gilles. „Dann mach´s gut.“, sprach Antoine zu ihm und verließ das Café.
Er ging den Hafen entlang, suchte sich einen angenehmen Platz, um sich hinsetzen zu können und begann einige Noten auf ein Blatt Papier zu schmieren. Der Hafen war leer. So leer wie sein Inneres. Die Stille beruhigte ihn und somit konnte er kurz abschalten. Der Wind blies um seine Ohren umher, er spürte die Kälte auf seinem Gesicht und versuchte sich mit seinem Mantel zuzudecken. Der Winter traf bald ein, was hieß, er müsste sich schon bald ein paar neue Decken zulegen, da die Heizung in seiner Wohnung defekt war.
Er blickte nach links und entdeckte ein Mädchen, dass auch zu frieren schien. Seine Notenblätter umarmend balancierte er auf der Steinmauer, die das Meer und die Stadt abgrenzte, hinüber zu ihr. „Dürfte ich mich setzen?“, fragte er und wartete auf eine Reaktion. Als sie ihn anblickte, fielen ihm nur zwei verweinte Augen auf. Sie nickte und räumte ihre Tasche beiseite. Sie war nicht älter als 25, ihre Haut war noch schön straff und ihre Hände sahen weich aus. Nach langer Stille fragte sie: „Sind das deine Stücke?“ und zeigte auf seine Papiere. Er nickte: „Ich bin ein Komponist. Ich war schon immer einer, sagte meine Mutter zumindest.“ Ein paar Minuten herrschte Stille und ihr Blick verlor sich in der Ferne. „Meine Mutter ist gestern gestorben, sie war schon etwas älter. Sie war meine einzige Familie, meine anderen Verwandten kenne ich nicht.“, sie schüttelte den Kopf, als würde sie ihre Worte zurücknehmen wollen. Antoine bereute sogleich, dass er seine Mutter erwähnte. Er war so bestürzt, dass er die ersten paar Momente danach kein Wort rausbrachte. Er schluckte ein, zwei Mal, bis er sich aufraffte und ein paar unsichere und leise Worte herausbrachte: „Das tut mir zutiefst leid.“ Er machte eine kurze Pause. „Du sollst nicht einsam sein. Niemand sollte einsam sein auf dieser grausamen Welt.“  Die Luft war so kalt, dass man sehen konnte, wie die warme Luft auf die Kalte traf. „Die Welt kann so furchtbar zu einem sein. Alles Leid der Welt passiert nur den Herzlichsten.“ Er blickte sie bemitleidend an und wischte ihr eine Träne von der Wange. Sie nickte. 
„Wann ist das Begräbnis? Ich würde dir gerne beiseitestehen.“ Sie blickte überrascht hoch. „Du musst das nicht tun. Ich brauche kein Mitleid. Außerdem wird es keine riesige Veranstaltung werden.“ Ihre Stimme und ihre Hände zitterten. „Ich möchte trotzdem kommen. Ich bedaure, ich könnte dies einfach so stehen lassen und vor allem möchte ich dir Unterstützung leisten. Sein einziges Familienmitglied zu verlieren ist nicht einfach.“ Er räusperte sich, bevor er weitersprach. „Ich spreche aus Erfahrung.“ Sie musterte ihn und ihr Blick veränderte sich zu einem eisigen Ausdruck. Erneut war Schweigen zwischen den beiden, bis er die Konversation fortsetzte: „Ich verlor meine Mutter vor drei Jahren, ich war 24 und bin seitdem auf mich allein gestellt.“, er schnappte nach Luft, „Aller Anfang ist schwer, deswegen würde ich dir etwas Gesellschaft leisten wollen. Ich fühle einen so undenklich starken Bund zwischen uns. Ich will nicht, dass du das allein durchmachen musst. Eine so wunderschöne Gestalt wie du verdient Liebe und Zuneigung, du solltest diese schwere Zeit nicht allein überstehen müssen.“ Angespannt betrachtete er ihre Gesichtszüge und wartete auf eine Antwort. „Das Begräbnis findet übermorgen statt.“, gab sie als Antwort und ein winziges Lächeln umschmiegte ihre Lippen. Sie zückte ein Blatt Papier aus ihrer Handtasche und kritzelte den genauen Ort darauf. Antoine gab ihr einen leichten Kuss auf die Hand. „Du wirst mich finden“, und mit diesen Worten verließ er sie.

Laura Strauß, Gymnasium Freistadt

Fotos © Alexandra Grill